Encampment

Rund 250 Lager in der sowjetischen Besatzungszone 1945–1955 im Detail

Lager sind jene Orte, an denen sich die sozialen, politischen und menschlichen Folgen von Krieg und Besatzung in besonderer Deutlichkeit zeigen.

In den Jahren 1945 bis 1955 existierten in der sowjetischen Besatzungszone Österreichs – in Niederösterreich, dem Burgenland, Teilen Oberösterreichs sowie in verschiedenen Bezirken Wiens – mehrere Hundert Lager zur Internierung und Unterbringung Zehntausender Menschen. Das FWF-Projekt Encampment widmet sich nun erstmals ihrer systematischen Aufarbeitung.

In den Lagern wurden neben sowjetischen Soldaten sowie ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern auch deutsche und österreichische Kriegsgefangene, ehemalige Nationalsozialisten sowie vor allem sogenannte „Displaced Persons“, deutschsprachige Vertriebene und Flüchtlinge zeitweilig untergebracht. Diese Lager blieben im Unterschied zu den Lagern in den westlichen Besatzungszonen bisher ein Forschungsdesiderat, die vielfältige Lagerlandschaft war ein größtenteils unbetretenes Terrain: So wie die Bevölkerung damals zu den Lagern – vor allem zu den sogenannten Russenlagern für sowjetische Soldaten – weitgehend Distanz gehalten hatte, sind die Lagerstrukturen heute bis auf wenige Ausnahmen aus dem (gedanklichen und lokalen) Landschaftsbild verschwunden.

Die Webseite Encampment macht diese Lager wieder sichtbar, indem sie sie auf ihrer Lagerkarte erstmals systematisch verortet und beschreibt.

Die Webseite Encampment ist als ein Ergebnis des gleichnamigen, vom Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF) und dem Land Niederösterreich geförderten Forschungsprojekts anzusehen. Es wurde von Anfang 2022 bis Ende 2024 vom Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung in Kooperation mit dem Ilse Arlt Institut für Soziale Inklusionsforschung der FH St. Pölten und dem Institut für Geschichte der Universität Graz unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Barbara Stelzl-Marx durchgeführt.

Um die einstigen Lager in der sowjetischen Besatzungszone systematisch zu identifizieren, zu lokalisieren und zu erfassen, analysierte das EncampmentProjektteam umfassende Quellen- und Literaturbestände aus Gemeinde- und Stadtarchiven sowie Landesarchiven des Burgenlands, Oberösterreichs, Niederösterreichs und Wiens. Hinzu kamen Bestände aus dem Österreichischen Staatsarchiv, den Arolsen Archives sowie dem Russischen Staatsarchiv (GARF) und dem Russischen Militärarchiv (RGVA). Die Auswertung von Zeitungsbeständen, Chroniken und Zeitzeugeninterviews lieferte weitere wichtige Hinweise.

Wie breit das Spektrum der Lagerwelt in der sowjetischen Besatzungszone tatsächlich war, ließ sich zu Beginn der Forschungsarbeiten nicht einmal ansatzweise erahnen. Mit Stand Februar 2025 konnten nicht nur insgesamt 247 Lager ausgewiesen, sondern auch mehrere unterschiedliche Lagerformen eruiert werden: von Anhalte- und Arbeitslagern über Frontlager, Wohnlager, Firmenlager, Entlausungslager, Sammel-, Durchgangs-, Entlassungs- und Auffanglager bis hin zu Überprüfungs-, Repatriierungs- und Filtrationslagern.

Genutzt wurden die Massenunterbringungen hauptsächlich für sieben Insassengruppen: sowjetische Front- und/oder Besatzungssoldaten; ehemalige sowjetische Kriegsgefangene; ehemalige Repressierte des NS-Regimes (Zwangsarbeiter und KZ-Insassen); österreichische und deutsche Kriegsgefangene (ehemalige Wehrmachtsangehörige); Flüchtlinge, Vertriebene und Umsiedler; ehemalige Nationalsozialisten; sowie aus dem Ausland rückkehrende bzw. rückgeführte Österreicher.

Die Arbeit an Encampment kann nicht als beendet angesehen werden, die auf der Webseite versammelten Informationen sind als Zwischenstand zu verstehen. Aufgrund der Fülle der von 1945 bis 1955 existierenden Lagern ist es sehr wahrscheinlich, dass dem Projektteam in der Erfassung das eine oder andere Lager entgangen ist. Zudem warten zahlreiche Lager auf eine tiefergehende Aufarbeitung. Hinweise auf weitere Lager, ergänzende Informationen und insbesondere Bildmaterial sind ausdrücklich willkommen – zum Kontakt.